Wir alle kennen es: irgendetwas möchte man schon seit Ewigkeiten ändern – das dysfunktionale Schlafverhalten, die leidige Prokrastinationsgewohnheit oder das sich schleichend habituierende Feierabendbier…doch die Umsetzung gestaltet sich zäh. Das neue Jahr ist der traditionell wohl beliebteste Anlass, Veränderungen endlich anzugehen, obwohl nur in etwa die Hälfte aller Neujahrsvorsätze tatsächlich erfolgreich sind.

Doch warum fällt es uns eigentlich so schwer, selbst gesteckte Ziele umzusetzen? Und macht es überhaupt Sinn, es genau an Neujahr zu versuchen? Was sind „gute“ Vorsätze und erfolgsfördernde Faktoren? Und ist „Erfolg“ überhaupt ein sinnvolles Kriterium?

Wir sind pünktlich zum Frühlingsbeginn in die Forschungsliteratur eingetaucht, um diesen Fragen nachzugehen und euch einige evidenzbasierte Faustregeln an die Hand zu geben.

2022

Warum gerade Silvester? – der „fresh start effect“

Markante Ereignisse oder Kalenderdaten strukturieren unser Zeitgefühl und geben Anlass zu Neuanfängen – sogenannten fresh starts. Oft können solche Zäsuren oder „temporal landmarks“ (Dai et al., 2014) helfen, die übliche Veränderungsträgheit zu überwinden, was auch als fresh start effect bezeichnet wird. Neuanfänge können individuelle oder kollektive saliente Meilensteine sein – Feiertage, der Beginn eines neuen Semesters, ein Umzug, selbst ein neuer Haarschnitt. Neujahr hat sich dabei kulturell als ein kollektiver Neustart par excellence etabliert und ist somit ein besonders attraktiver Anlass für neue Ziele und Vorsätze.

Es werden vor allem zwei Gründe vermutet, warum wir solche Neuanfänge – in diesem Fall den Start eines neuen Kalenderjahres – als besonders motivierend erleben. Einerseits erleichtert es ein Neuanfang, sich psychologisch von einem alten, vergangenen Selbst zu distanzieren und auch entsprechende alte Muster hinter sich zu lassen. Andererseits reißen uns markante Ereignisse aus dem alltäglichen und oft automatisierten Trott heraus und erlauben einen breiteren, reflexiven Blick auf das eigene Leben und die eigenen Prioritäten.

Ein offensichtlicher Nachteil dieses Effekts besteht darin, dass er zum Aufschieben einladen kann. Wenn der Neujahrsvorsatz im Jänner missglückt, sollte man natürlich nicht einfach aufgeben und bis zum nächsten Jahr warten, sondern sich selbst einen neuen fresh start definieren – zum Beispiel den Anfang des neuen Monats oder der neuen Woche. Wir wollten jedenfalls mit gutem Beispiel vorangehen und haben diesen Artikel daher zum Frühlingsbeginn gepostet, der ja eigentlich auch irgendwie als Jahresbeginn gelten kann (und nein – das ist definitiv keine Ausrede dafür, dass der Beitrag ursprünglich für Neujahr geplant war…).

Läuft es allerdings gut, sollte man übrigens mit Neustarts eher vorsichtig sein, weil die gefühlte Unterbrechung einer erfolgreichen Phase dann eher frustrierend sein und sogar zu einer Erfolgsminderung führen kann. Fresh starts sollten also vor allem als Coping-Strategie im Umgang mit Umsetzungsproblemen und Rückschlägen eingesetzt werden.

Vorsätze SMART setzen

Was macht nun aber gute Vorsätze aus und was erhöht die Chancen, sie tatsächlich umzusetzen?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, da zielgerichtete Veränderungsprozesse eine ziemlich komplexe Angelegenheit sind und sich in unterschiedlichen Phasen abspielen. Wir können einerseits grob in eine Planungs-, Umsetzungs-, und Aufrechterhaltungsphase differenzieren und andererseits in abstrakte, übergeordnete und konkrete, untergeordnete Ziele.

In der Planungsphase, also wo ich mich überhaupt erst für meine Vorsätze entscheide, sind übergeordnete Ziele besonders wichtig. Diese sind zwar oft vage und abstrakt, dafür aber umfassend, langfristig und persönlich bedeutsam, weil sie oft mit unserem idealen Selbst verknüpft sind. Idealerweise sind diese Ziele also auch intrinsisch und dauerhaft motivierend. Mein ideales Selbst ist beispielsweise sehr umfassend und vielseitig gebildet, also könnte ich mir vornehmen, mich diesem Ideal weiter anzunähern.

Besonders in der Umsetzungsphase sind Vorsätze wie „sich vielseitig bilden“ allerdings viel zu abstrakt und führen eher zu Frust und Prokrastination. Hier müssen die allgemeinen Vorsätze also dringend operationalisiert und konkretisiert werden: Was heißt es für mich, umfassend gebildet zu sein? Was kann ich tatsächlich tun, und vor allem wie oder vielleicht sogar wann, um diesem Ziel näher zu kommen? Wenn übergeordnete Ziele das Warum vorgeben, bestimmen untergeordnete Ziele also das Wie.

Für das Setzen solcher konkreter Ziele hat sich das „SMART“-Akronym eingebürgert: sie sollen möglichst spezifisch, messbar, erreichbar (achievable), relevant (manchmal auch realistisch, aber dazu später mehr) und zeitlich definiert (time bound) sein. Ich könnte mir also beispielsweise vornehmen, jede Woche ein Buch zu lesen und mir am besten auch schon überlegen welche. Dadurch habe ich ein klares Erfolgskriterium und kann meinen Fortschritt besser verfolgen.

Automatisierung statt Willenskraft

Zusätzlich kann es auch helfen, die geplanten Verhaltensweisen an bestimmte wiederkehrende Zeiten oder Ereignisse zu koppeln, beispielsweise „vor dem Schlafengehen“ oder „nach dem Abendessen“. Das hilft, Handlungen zu automatisieren und braucht weniger Überwindung. Dafür ist es theoretisch auch besser, sich kleine und simple Dinge vorzunehmen, die auch tatsächlich jeden Tag umsetzbar sind, wie zum Beispiel „5 Minuten lesen“ anstatt größere Ziele, die dann aber weniger konsistent umgesetzt werden. Ziel ist hier vor allem, die Tätigkeit möglichst reibungsfrei zu starten, da das Anfangen oft am meisten Überwindung braucht. Habe ich einmal begonnen, ist es wahrscheinlich, dass ich schlussendlich ohnehin länger als wirklich nur 5 Minuten dabei bleibe.

Wenn es um die langfristige Aufrechterhaltung neuer Verhaltensweisen geht, werden jedoch übergeordnete Ziele wieder wichtiger. Hier kommt auch die Relevanz der Ziele, ein gerne vernachlässigtes SMART-Merkmal, zum Tragen: Wenn uns ein Ziel nicht wirklich persönlich wichtig ist, werden wir schlicht nicht genügend intrinsische Motivation aufbringen, um es langfristig umzusetzen. Viele klassische Neujahrsvorsätze sind zwar gesellschaftlich erwünscht, entsprechen vielleicht aber gar nicht den eigenen Werten und Prioritäten und werden so schwieriger umzusetzen sein.

Routine vs. Flexibilität

Obwohl Routinen sehr nützlich sein können, um dauerhafte Verhaltensänderungen zu erleichtern, können zu rigide Pläne auch zum Verhängnis werden. In einer Studie wurden beispielsweise Personen dafür belohnt, regelmäßig entweder in einem bestimmten, zwei-stündigen Zeitfenster ins Fitnessstudio zu gehen, oder an einem beliebigen Tageszeitpunkt. Bei der flexiblen Gruppe zeigte sich nach Einstellung der Belohnung eine langfristigere Beibehaltung des Verhaltens als bei der rigiden Gruppe. Zu spezifisch und zeitgebunden sollten die Vorsätze also doch nicht sein.

Hier können wiederum die übergeordneten Ziele helfen, falls wir feststellen, dass die ursprünglichen konkreten Vorsätze einfach nicht funktionieren wollen. Gerade weil diese nämlich eher abstrakt sind, können sie oft auf ganz unterschiedliche Art umgesetzt werden. Vielleicht stelle ich beispielsweise in der Prüfungsphase fest, dass ich abends einfach zu müde bin, um noch zu lesen. Anstatt meinen Vorsatz völlig zu pausieren, könnte ich mir also überlegen, ob ich ihn nicht auch anders umsetzen könnte, zum Beispiel indem ich mir einen Podcast oder eine Dokumentation anhöre. Wenn konkrete Vorsätze also nicht funktionieren, sollten wir auch keine Hemmungen haben, sie zu modifizieren, anstatt das gesamte Ziel über Bord zu werfen.

Annähern statt vermeiden

Generell gilt – für über- wie untergeordnete Ziele – dass positive Vorsätze erfolgreicher sind als vermeidungsorientierte. Etwas aktiv zu erreichen, fühlt sich nämlich einfach befriedigender an, als etwas zu unterlassen. Wer sich also eine schlechte Angewohnheit abgewöhnen will, sollte versuchen, den Vorsatz positiv zu formulieren. Das erleichtert ebenfalls die Umsetzung, weil so auch gleich alternative Handlungsmuster formuliert werden können. Will ich also beispielsweise weniger Computerspiele spielen oder Netflix bingen, so sollte ich mir einen positiven Ersatz dafür suchen, wobei sich in meinem Fall das Lesen oder Podcast-Hören anbieten würde.

Zwischenziele und die Dokumentation des Fortschritts können gerade zu Beginn helfen, die Motivation aufrecht zu erhalten. Dabei sollte man sich auch zwischendurch belohnen, und zwar nicht nur bei der Erreichung von (Zwischen)-Zielen, sondern auch im Laufe des Prozesses.

Shoot for the stars, land on the moon?

Wie das SMART-Akronym bereits vorwegnimmt, sollten Ziele auch tatsächlich erreichbar und realistisch sein. Tatsächlich ist diese Bedingung aber ein zweischneidiges Schwert. In Studien zeigt sich zwar immer wieder, dass realistische und klar abgesteckte Ziele mit höherer Wahrscheinlichkeit auch erfüllt werden – ein Befund, der nicht gerade bahnbrechend ist. Was in den (größtenteils auf self-report basierenden) Studien aber oft untergeht ist der objektive Grad der erreichten Veränderung oder investierten Mühe.

Wenn ich mir beispielsweise vornehme, jede Woche ein Buch zu lesen, es aber nur alle zwei Wochen schaffe, ist mein Vorsatz genau genommen gescheitert. Hätte ich mir vorgenommen, nur jeden Monat ein Buch zu lesen und es auch geschafft, wäre ich erfolgreich gewesen, obwohl ich schlussendlich weniger gelesen hätte als im ersten Fall. Es ist also die Frage, was Erfolg im jeweiligen Kontext konkret bedeutet und ob es überhaupt so wichtig ist, Vorsätze zu 100 % zu erfüllen. Wenn ich mir vornehme, ein Buch pro Jahr zu lesen, dann werde ich das ziemlich sicher schaffen, es wird aber auch nicht wahnsinnig befriedigend sein, weil ich genau weiß, dass die Messlatte sehr niedrig lag.

Der Weg ist das Ziel

Manchmal kann gerade die Nicht-Erfüllung eines Ziels sogar einen positiven Effekt haben. Ziele zu erfüllen ist nämlich zwar befriedigend, allerdings kann genau das dazu führen, dass unsere Motivation sinkt, über den ersten Schritt hinaus noch weitere Mühe zu investieren. Je größer aber der Abstand zwischen dem Ist- und dem Zielzustand, desto eher bleiben unsere Bemühungen aufrecht. Hierin liegt die Tücke der konkreten und untergeordneten Ziele – sie lassen sich vielleicht schnell und klar erfüllen, sind aber eigentlich nur kleine Teiletappen hin zum eigentlichen langfristigen Ziel.

Wenn mein abstraktes Ziel darin besteht, gesünder zu leben, wird es beispielsweise eher kontraproduktiv sein, wenn ich mein Ziel, jeden Tag 10 Minuten spazieren zu gehen, zwar erreiche, aber andere Bereiche wie Schlaf, Ernährung und psychische Gesundheit vernachlässige. Hier können die Abstraktheit und Offenheit übergeordneter Ziele also wieder ein Vorteil sein – dadurch, dass sie nicht klar abschließbar sind, bleiben sie als langfristige Ideale erhalten, denen wir uns schrittweise annähern können. So abgedroschen es auch klingen mag, ist der Weg also tatsächlich das Ziel.

Auch hier ist allerdings Vorsicht und Selbstkenntnis geboten, denn eine zu hohe Diskrepanz zwischen Idealziel und Istzustand kann wiederum Frust auslösen und demotivieren. Die richtige Balance von Realismus und Herausforderung ist also gar nicht so leicht zu schaffen, obwohl wir uns im Zweifelsfall also vielleicht sogar lieber etwas zu viel vornehmen sollten als zu wenig. Vor allem aber sollten wir keine Angst oder Scham haben, solche Ziele nicht vollständig zu erreichen, sondern sie eher als eine Orientierung und ihre Verfolgung als kontinuierlichen Prozess begreifen.

Entwicklung vs. Selbstoptimierung

Wer jetzt denkt das ganze Thema riecht doch sehr nach leistungsbesessener Selbstoptimierungskultur hat bestimmt nicht ganz unrecht. Die klassischen und noch immer sehr beliebten Neujahrsvorsätze drehen sich gerne um sozial erwünschte und sanktionierte Ziele wie Produktivitätssteigerung und Gewichtsverlust. Damit soll nicht gesagt sein, dass solche Vorsätze an sich schlecht oder verwerflich sind, viele mögen sie sich aus durchaus guten Gründen setzen. Tendenziell werden sie jedoch häufig extrinsischer motiviert und somit langfristig wenig erfüllend sein, sogar wenn wir sie erreichen.

Vorsätze sind letztendlich enorm individuell – sie müssen für uns selbst passend und bedeutsam sein, auch wenn sie natürlich kulturell und gesellschaftlich geprägt sind. Wie aktuelle Analysen zeigen, gibt es immer noch starke Trends und Dauerbrenner unter den Neujahrsvorsätzen, allerdings zunehmend auch gegenteilige Tendenzen, die zum Beispiel mehr auf Selbstakzeptanz als auf Optimierung abzielen oder Verbesserungen in Bereichen wie psychischer Gesundheit und sozialen Kontakten anstreben.

Anstatt härter zu arbeiten, könnten wir uns genauso gut vornehmen, öfter zu entspannen, mehr Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen oder ein altes Hobby wieder mehr zu pflegen. Anstatt privater und persönlicher Erfolge und Entwicklung können wir gemeinwohlbezogene Vorsätze formulieren, beispielsweise, sich ehrenamtlich oder politisch zu engagieren, ein nachbarschaftliches Support-Netzwerk zu gründen oder Ähnliches.

Wir von den BÖP-S haben uns übrigens – wie ihr vielleicht vermutet habt – auch einen Vorsatz gemacht, nämlich diesen Blog zu starten und zumindest jeden Monat einen neuen Beitrag zu posten. Wie SMART und ambitioniert dieser Vorsatz war, wird der Rest des Jahres zeigen. Egal ob ihr euch Vorsätze setzt oder nicht, wir wünschen euch (fast pünktlich) ein gutes und erfolgreiches neues Semester, und natürlich guten Frühlingsbeginn!

TL;DR

  • Kombiniere abstrakte und langfristige übergeordnete Ziele (v.a. in Planungs- und Aufrechterhaltungsphase) mit konkreten untergeordneten Zielen (v.a. für die Umsetzungsphase).
  • Formuliere untergeordnete Ziele SMART: spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitgebunden.
  • Formuliere möglichst positive Ziele anstatt vermeidungsorientierte.
  • Finde die richtige Balance zwischen Routine und Flexibilität.
  • Setze Ziele lieber etwas zu hoch als zu niedrig.
  • Sieh übergeordnete Ziele eher als Ideal und hab keine Angst, sie nicht zu 100 % zu erfüllen.
  • Nutze den fresh start effect wenn es mal nicht so gut läuft.
  • Dokumentiere deine Fortschritte und belohne dich regelmäßig.
  • Und vor allem: Gute Vorsätze sind individuell – wähle nur solche, die für dich persönlich wirklich passend und wichtig sind.

Beitrag verfasst von

Michelle Lau

studierte Geschichte, Philosophie & Pädagogik; aktuelles Studium der Psychologie an der Universität Wien; BÖP-S Mitglied seit 2019

Quellen:

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Dai, H. (2016). A Double-Edged Sword: How and Why Resetting Performance Metrics Affects Future Performance. Organizational behavior and human decision processes, 148(09) 12-29.

Dai, H., Milkman, K. L., & Riis, J. (2014). The Fresh Start Effect: Temporal Landmarks Motivate Aspirational Behavior. Management Science, 60(10), 2563–2582.

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